Einmal um die halbe Welt bitte ...
Wie das so Leben so spielt, kommen manchmal unterschiedlich Dinge zusammen und plötzlich tut sich ein Tor in eine neue Welt auf, diesmal war es für mich das Tor die chinesische Kultur. Mich hat die Kultur in ihren Bann gezogen, aber das erfordert Ambiguitäts-Toleranz, sprich die Kompetenz Widersprüche auszuhalten.
Auf der einen Seite gibt es hier eine Kultur, die sich auf acht Jahrtausenden Zivilisationsentwicklung gründet und sich für uns Westler wie eine Parallelwelt anfühlt. Die Schriftzeichen und auch die tonale chinesische Sprache sind ein Wunderwerk für sich. Wer chinesisch sprechen will, muss den Mund viel mehr bewegen als es für europäische Sprachen notwendig ist und die Melodie und Tonhöhen der Wörter lernen. Dazu gibt es viele gleiche Wörter, die unterschiedliche Bedeutungen haben und sich nur aus dem Kontext erschliessen.
Das Pferd ist hier als Kulturträger in Bildern und Redewendungen überall präsent. Ebenso gibt es die wohl blumigsten Liebeslieder der Welt voll mit Metaphern aus nomadischen Kulturen und auch heute hat das riesige Land 56 ethnische Minderheiten mit eigener Sprache und Kultur.
Es gibt eine lange Tradition von Kampfkunstpraktiken, philosophischen Schulen und Poesie, eine eigene Vorstellung vom Himmel in Etagen und Unsterblichkeit, die man durch Kultivierung erreichen kann. Dazu ein Reichtum an Mythen und Legenden, der nach meinem Eindruck sehr viel bekannter und im Alltag integrierter ist als bei uns entsprechende geschichtliche Elemente.
Auf der anderen Seite ist China in vielen Dingen technisch moderner als der Westen heute. Der Alltag ist digitaler und die Wirtschaft ist viel weniger reguliert und hat riesigen Tech-Giganten das Wachstum ermöglicht. Gewerkschaftliche Errungenschaften sind ein Fremdwort für Chinesen, die von neun bis einzwanzig Uhr an sechs Tagen in der Woche arbeiten. Es gibt keine in unseren Augen „moderne“ Demokratie sondern eine Partei, die zentralistisch entscheidet, Zensur betreibt und sich wenig an internationale Ethik oder UN-Regeln hält.
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Warum bin ich nach China gefahren - oder wer Lernen will, braucht einen Meister
In der Legende, die Charles Eisenstein in seinem Podcast „Halfmoon“vorstellt (siehe unten), ist es nach taoistischer Lehre nicht gestattet ohne Meister zu lernen. Darauf werde ich später noch mal eingehen.
Ich wollte freiwillig noch einmal von Meister Li Jun Feng „mein“ Qigong lernen und so bin ich nach China gefahren, bevor er zu alt wird und endgültig in den Ruhestand geht. Noch ist er mit 87 Jahren noch bis zu zwei Stunden auf der Bühne und gibt Einblicke in die Essenz seiner Erfarhungen – es fühlt sich an wie die Übergabe des Staffelstabes an die nächste Generation!
Das Sheng Zhen Qigong begleitet mich nun seit 20 Jahren in meinem Leben und es hat nichts von seiner Faszination verloren – im Gegenteil, wie bei allen Künsten, entdeckt man stets tiefere Schichten und neue Bedeutungen, je länger mensch übt und praktiziert.
Es war das 51. Lehrertraining seit ca. 25 Jahren und das erste in China, dem Herkunftsland von Meister Li. Dieser ist nun 87 Jahre alt und auch das war ein Beweggrund, ihn noch einmal in Aktion und zurück in seiner Heimat zu erleben.
Im folgenden wunderschönen Video kann man einen ersten Eindruck erhaschen, was es bedeutet den Körper völlig natürlich bewegen zu können – frei von Blockaden entsteht ein Flow-Moment, der sich auf allen Ebenen von Körper, Geist und Herz wie Lebendigkeit schlechthin anfühlt.
Und auch wenn die meisten Menschen weit entfernt von der Losgelassenheit sind, die Meister Li umsetzen kann, so fühlt sich das Üben der Bewegungen dennoch immer wohltuend und befreiend an.
Als Lehrer hat Meister Li selbst einen langen und nicht gradlinigen Weg zurückgelegt. Vom chinesischen Nationaltrainer für Kampfkünste, wo er sein Schüler*innen noch verbissen zu Hochleistungen anspornte (Goldmedaillen kamen dann auch dabei heraus) hin zu Entspannung in die Ganzheitlichkeit. So verabschiedete er sich vom Leistungssport und Leistungsgedanken und wurde ein Lehrer in vielen Ländern der Erde, wie Menschen durch die von ihm entwickelten Meditationen in Bewegung hin zu sich selbst finden können.
Heute kennzeichnet ihn eine interessante Mischung aus Detailgenauigkeit und dem ständigen Apell an seine Schüler*innen, die Übungen mit dem Herzen und dem eigenen Gefühl zu verstehen, was wichtiger ist als die korrekte Ausführung. Ihm liegt das Wohl der Erde am Herzen und dass alle Menschen erkennen, dass wir „eine Familie“ sind. Und sein Weg hat tatsächlich so viele Menschen geeint, denn in der Sheng Zhen Familie werden keine Reden geschwungen – nur wer durch sein Tun und Praktizieren überzeugen kann, wird als Führungsperson wahrgenommen. Hier wird Führung durch Kompetenz – unabhängig von allen anderen Bedingungen der Person – aktiv gelebt!
Es ist immer wieder wohltuend, wenn sich jede und jeder einzelne in dieser Gemeinschaft als auf dem Weg befindend und lernend begreift. So lernt man gemeinsam und es gibt aus meiner Erfahrung bisher sehr wenig Konkurrenz, sondern vorwiegend die Idee, dass ich von denen, die es besser können, mehr lernen kann und diese wiederum durchs Lehren selbst besser werden.
Während viele gute Lehrkräfte einem die Technik von diversen Übungen und Künsten erklären, inspiriert Meister Li seine Schüler in dem er seinen „Geschmack“ der Übung praktisch zeigt und erklärt. Es geht am Ende nicht um Technik, sondern um das Erleben von körperlicher Ganzheit und Losgelassenheit.
Kooperation oder Konkurrenz im kulturellen Kontext
Auch wenn ich in erster Linie wegen meiner Qigong Lehrerausbildung nach China gereist bin, so war ich doch aufgrund meiner Tätigkeit als Beziehungsberaterin extrem neugierig, wie sich das Miteinander in einer asiatischen Gesellschaft gestaltet.
Ein entfernt verwandter Vorfahre von mir, Ernst Fischle, war 1929 als Missionar nach China gefahren und geriet in dem vom Bürgerkrieg zerrüttetem Land in die Hände von Banden. Sein Buch „16 Monate in chinesischer Gefangenschaft“ wurde ein Bestseller in Missionarskreisen und stellt einen besonderen Einblick in die damalige Kultur dar. Durchaus wertschätzend übrigens, er hat auch danach noch einige Jahre in China verbracht.
Eine Erkenntnis damals war, dass die christliche Missionierung schwierig ist, weil die chinesische Kultur das Wort und das Prinzip von „Sünde“ nicht kennt. Seine Beobachtungen waren: Man nimmt sich, was man braucht, man überlebt und man rechtfertigt sich durch etwas abstruse Erklärungen, wenn es eigentlich ein Diebstahl war – aber man schämt sich nicht wirklich dafür. So konnten die Chinesen per se kulturell nicht von der Sünde erlöst werden – darüber können wir heute schmunzeln. Zumindest hat die christliche Missionierung daher dort wohl weniger Schäden angerichtet als anderswo.
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Was mir meinem Besuch heutzutage praktisch aufgefallen ist, dass wir in Europa (noch, von rechten Bewegungen abgesehen) eine selbstverständliche Kultur der Rücksichtnahme und Kooperation unabhängig von den jeweiligen tatsächlichen Beziehungen haben. Irgendwie bin ich naiverweise davon ausgegangen, dass das überall so auf der Welt sei.
Dies ist im chinesischen Alltag offensichtlich anders: für Unbekannte gilt das Konkurrenzgebot und für echte oder strategische Freunde wird dann mit allem Herzblut durchgesetzt, was für richtig gehalten wird. Anschaulich wird das auf der Autobahn, dort wird zivilisiert gedrängelt, man fährt bis auf wenige Zentimeter im Nahkampf mit den anderen Autos und gleichzeitig wirkt der gesamte Verkeht doch wie ein Flow und sehr gelassen! Das übt sich früh, denn das gesamte Schulsystem beruht – anders als bei uns – extrem auf Konkurrenz.
Es gibt dennoch auch ganz wunderbare chinesische Serien über Kooperation, dazu mehr in meinem Blogartikel über chinesische Serien.
In Asien sind weniger die geltenden Regeln relevant als wen ich kenne und was dieser Mensch dann für mich erreichen kann. Das gute alte Vitamin „B“ ist hier also viel entscheidener als bei uns, wo die Regeln im Alltag doch recht „heilig“ für alle gleich gelten.
In China kann man eine Gesellschaft erleben, die sich äußerlich kaum von unserer unterscheidet und dennoch nach ganz anderen inneren Prinzipien geregelt ist.
Beides scheint offenbar gleich gut oder schlecht zu funktionieren!
Hierarchieliebe und Organisationsgeschick
In Deutschland wird ja inzwischen von vielen Menschen Hierarchie generell ablehnt. Gerade in vielen sozialen Berufen wollen die Führungskräfte nicht hierarchisch höher gestellt sein und lehnen Führungsverantwortung ganz oder teilweise ab.
Dabei schliessen sich Beziehungen auf Augenhöhe und Hierarchien nicht automatisch aus – auch als hierarchisch höher gestellter Mensch kann ich alle anderen auf Augenhöhe behandeln. Wer viel asiatische Serien schaut, der kennt aber auch die Kehrseite, wenn Hierarchie und mangelnde Integrität zusammenkommen: das hemmungslose Treten nach unten mit viel körperlicher Gewalt. Bei uns inzwischen offiziell verpönt, in Asien scheinbar nicht.
Die pauschale Ablehnung von Hierarchie hat in Deutschland in vielen Betrieben und Organisationen zu unbewussten und versteckten Machtverteilungen geführt, was Effizienz und Zusammenarbeit belastet.
China ist ein Land, in dem Macht und Hierarchie kein Makel sind. Das zeigt sich schon bei der Begrüßung: Schon beim Vorstellen wird nicht nur der Name genannt, sondern auch wie der Andere mich anreden darf oder soll. Das führt nicht zu gleichberechtigten Beziehungen, aber zu klaren Beziehungen. Und Klarheit ist ein Faktor, der den Alltag sehr erleichtert!
Organisation ist ebenso etwas, das mir positiv aufgefallen ist. In einem Land, wo es sehr viele Menschen gibt und Schulklassen bis zu 80 Kinder umfassen können, sind scheinbar alle gewohnt grosse Mengen an Menschen recht effizient zu bewegen. Auch die Infrastruktur, die Hochgeschwindigkeitszüge, die vielen Skyscraper und die Mega-Bauprojekte machen auf den ersten Blick den Eindruck einer effizienten Organisation (ich bin keine Expertin auf dem Gebiet).
Ich selbst habe Organistionsgeschick bei der Grossveranstaltung des Lehrertrainings und bei der 3 tägigen Touristentour erlebt, wo alles schnell, zielführend und sehr umsichtig geplant und durchgeführt wurde. Bisher bin ich meistens individuell gereist, aber diese Organisation hat mich beeindruckt und es war angenehm, sich einfach „hineinfallen“ zu lassen anstatt alles selbst zu entscheiden.
Beeindruckend fand ich, dass ein Amerikaner aus unserer Reisegruppe feststellte, so auf den ersten Blick erscheint in China so vieles besser als in den USA, dass er am liebsten dableiben wolle. Zumindest sei sein Bild von China komplett falsch gewesen…
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"Liebe Katrin, auf diesem Wege noch einmal ein herzliches Dankeschön für die Online- Beratungsstunde gerade eben. Dieses monatliche Angebot von Dir ist eine wunderbares Geschenk für den/ die gewinnt! Ich war sehr aufgeregt, auch weil Zoom- Meetings nicht zu meinem "täglichen Geschäft" gehören. Deine freundliche Art, Deine Ruhe und Gelassenheit, Dein "mich abholen" können, wo ich gerade stehe, haben es mir leicht gemacht, mich zu öffnen... Kurzes Feedback: 100 Punkte, eins mit Sternchen!!!"
Von Drachen und Weisheit
Das bekannteste Fabelwesen Chinas ist der Drache, der aber nichts mit der westlichen Vorstellung vom Drachen zu tun hat. Deshalb wird dazu übergegangen, auch im Englischen nicht mehr von „dragon“ zu sprechen, sondern das chinesische Wort „Long“ als eigenständigen Begriff zu nutzen (chinesisch 龍 / 龙, Pinyin lóng).
Drachen sind in Asien eher Gottheiten als bösartige Kreaturen. Auch ihr Aussehen ist anders: Der Körper einer Schlange, die Schuppen eines Karpfens und der Kopf eines Wasserbüffels mit Mähne. Sie können sich verwandeln und auch menschliche Gestalt annehmen.
Ein Drachenmärchen voller Weisheit stellt uns Charles Eisenstein in seiner ersten Episode des neuen Halfmoon Podcast vor, den er zusammen mit seiner Ex-Frau Patsy macht.
Über sich selbst sagen die beiden: „Wir haben unser Karma zusammen erfüllt und alles was geblieben ist, ist Liebe!“ Wie wunderbar, wenn das möglich ist mit unseren Ex-Partner*innen, da freut sich die Beziehungsberaterin! Und augenzwinkernd fügen sie hinzu: „ob das jetzt ganz wahr ist oder nicht 😉 „
In der ersten Folge stellt Patsy ein Drachen-Märchen vor, das ihr selbst in ihrer Kindheit in Taiwan erzählt wurde. In der zweiten Folge ein Märchen von einem weiblichen Drachen.
Die Zuhörer*innen werden eingeladen diese Geschichten von Drachen und der Erlangung von Weisheit wie ein Kind aufzunehmen, ohne sofort unseren erwachsenen, analytischen Geist anzuschalten. Wie können wir die Bilder dieser Geschichte als tiefe Inspiration erfahren?
Und doch helfen die Kommentare von Charles ein paar der Bilder zu erklären oder in unsere Zeit zu übersetzen. Hier ein paar Stichpunkte:
1) Um sich selbst zun entwickeln musst Du niemand besonderes sein, denn unser Held in der Geschichte heisst sozusagen „Herr Normal“.
2) Die Pflicht nicht ohne Meister zu lernen
Dies meint, das wir nicht alles aus uns selbst schöpfen können, sondern wir brauchen Inspiration und oft auch liebevolle Führung, um uns selbst in unsere eigene Größe zu entwickeln. Diese Inspiration von Außen muss nicht unbedingt ein Mensch sein.
3) Eine Gabe/Ein Talent sollte niemals für Profit genutzt werden, denn ein Talent oder ein Gabe ist eine Leihgabe, es kommt nicht aus uns selbst heraus. Gemeinwohlorientierung bedeutet, dass ich gut leben kann von meinen Talenten, aber nicht gierig nach Geld werde oder Menschen bevorteile.
In der Mitte der zweiten Episode wird auch noch mal auf die universelle spirituelle Dimension von „Kultivierung“ und „Unsterblichkeit“ eingegangen – wie immer fasst Charles Eisenstein das in berührende Worte.
Viel Spass beim Hören dieser alten Geschichte und dem Eintauchen in chinesische Weisheit (den Podcast gibt es leider nur auf Englisch!)
Mehr Beziehungs-Qualität im Alltag
Angebote auf dem Mirabellenhof:
